Mittwoch, 14. Oktober 2009

Im Ghetto


Es ist, als liefen alle Musikgeräte in Endlosschlaufe, und nur mit einer einzigen CD: Om mani padme hum plärrt aus jedem zweiten Laden, ein Bookshop reiht sich an ein Restaurant und dieses an einen Laden mit Trekking-Ausrüstung und dieser an eine German Bakery. Lakeside Pokhara ist ein einziges Touristenghetto, alles ist auf den Bedarf der Besucher ausgerichtet - und diese sind in Massen da. Es geht auf Mitte Oktober zu, und die Haupt-Trekking-Saison in Nepal hat endgültig begonnen. Der Überfluss des Angebots hat zwar auch seine angenehmen Seiten: Wir können neue Bücher einkaufen und all die langen, bereits gelesenen Romane, von denen wir glaubten, sie würden Tim bis nach Hongkong beschäftigen, gegen neue eintauschen. Wir essen gut und abwechslungsreich und versuchen, die laute Musik in den Pubs und Bistros zu ignorieren, gleich wie den Umstand, dass man nur weisse Köpfe sieht und das Leben hier eigentlich nichts mit Nepal zu tun hat. Diese Szenerie könnte man genauso gut auf Ibiza oder an der Khao San Road in Bangkok antreffen, mit dem einzigen Unterscheid, dass hier der Sex-Tourismus fehlt.


Gut, wir sind Teil dieser Welt des globalen Reisens, befördern es mit unserer Anwesenheit und haben deshalb kein Recht, uns allzu stark über dessen Auswüchse auszulassen. Aber das Leben im Touristen-ghetto nervt und wir freuen uns auf die Zeit in China, wo wir näher an den Menschen zu sein hoffen. Immerhin geniessen wir das Privileg, in der Fishtail Lodge zu wohnen, einer Oase der Ruhe auf der anderen Seeseite mit Bilderbuch-Aussicht auf die gesamte Annapurna-Kette direkt aus der Hängematte - und einem Swimming Pool, in dem sich Tim vergnügt, während Kathrin und ich die Tage verdösen. Wir mieten Velos, fahren am See entlang, rudern im Boot hinaus auf den Fewa Lake, ruhen uns aus, lesen, schlafen - das wär’s. Nur am morgen früh wird jeweils hektisch, wenn der Video-Club Wuppertal lärmend an unserem Zimmer vorbeizieht, um vorne am Seeufer rechtzeitig vor Sonnenaufgang die Stative in den Boden zu rammen.


Nepal hinterlässt bei meinem zweiten Besuch einen zwiespältigen Eindruck. Die dramatsich auseinander klaffenden Welten der nepalischen Realität und der Welt des Massentourismus, die sich höchstens an den Rändern berühren. Die Erfahrung der bitteren Armut, die derart stark kontrastiert zu unserem Luxus, dass sie uns immer wieder fragen lässt, was wir eigentlich hier zu tun haben. Die umstrittene Modernisierung des Landes, der Bau von Infrastruktur, die bitter nötig ist, aber gleichzeitig just den einzigartigen Charme des Landes zerstört, der sich aus Ruhe, Langsamkeit und Urtümlichkeit spies. Als Maurice Herzog 1950 mit dem Annapurna den ersten  8000er bezwang, gab es erst eine Strasse im ganzen Land, von Indien in Richtung Kathmandu, ohne die Hauptstadt zu erreichen. Wie es wohl damals hier aussah, vor nicht einmal 60 Jahren? Aber sind diese romantizistischen Gedanken überhaupt zulässig aus unserer abgehobenen westlichen Optik?


Trotz allen Widersprüchen: Dass wir als Familie den Einstieg in usnsere Reise und das 13-tägige Trekking derart gut geschafft haben, erfüllt uns mit Stolz. Es war toll, berauschend zuweilen, manchmal hart und anstrengend. Wir haben uns als Familie durchgeschlagen und viel zusammen erlebt. Selbst Kathrin, sonst von Bergen nicht wirklich zu begeistern, war beeindruckt von den urtümlichen, Ehrfurcht gebietenden Eisreisen - und Tim ist seinem Ruf als Bergfan mehr als gerecht geworden. Nun will er den Everest sehen, hat er mir anvertraut. Ich habe ein Karte der Region gekauft. Auch ich werde zurückkehren, das ist sicher. Aber wohl eher in eine Gegend, in der man zelten muss, wo es weniger Leute hat, wo man auch noch näher ins Hochgebirge kommt. In vier, fünf Jahren vielleicht, dann wird Tim so weit sein, dass man mit ihm in Regionen über 5000 Meter vorstossen kann. Und vielleicht lässt sich auch Kathrin dann nochmals zu einem grossen Berg-Abenteuer überreden.

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